Das kleine Haus
Carl Pruscha & Verena Formanek im Gespräch
IN EINER GLOBALEN SITUATION IN WELCHER SICH ARCHITEKTEN IM WETTSTREIT BEFINDEN HÖCHSTE UND NOCH HÖHERE TÜRME ZU BAUEN HAT ARCHITEKT PRUSCHA SEINE LIEBE ZU DEN KLEINEN HÄUSERN ENTDECKT UND WIRD MIT FRAU FORMANEK DIE AUS EINER WELT DER HÖCHSTEN HÄUSER KOMMT – AUS DER ARABISCHEN HALBINSEL – ÜBER DIESEN WIDERSPRUCH SPRECHEN.
Am 26. Oktober spricht Kuratorin Verena Formanek mit Architekt Carl Pruscha über Bau- und Städteplanung. Dabei spielen die Anforderungen von Urbanisierung, Globalisierung und Nachhaltigkeit eine entscheidende Rolle. Die Diskussion zeigt Perspektiven auf den Einsatz und die Adaption traditioneller Methoden und Materialien.
Pruscha arbeitet seit einigen Jahren daran, einen Teil der, in großer Zahl leerstehenden, Presshäuser im Pulkautal zu sanieren. Das Vorhaben wurde von Künstlerin Elisabeth Samsonow angeregt, die in der Gegend zuhause ist. Eine Reihe an Bauten konnte schon verkauft und erneuert werden. Dazu zählt auch das Lehmhaus, welches heute die Zeitschriftenbibliothek von Ursula Krinzinger beherbergt. Ursula Krinzinger und Carl Pruscha arbeiten seit vielen Jahren zusammen. Für die Krinzinger Künstlerresidenzen realisierte der Architekt sowohl in Wien als auch in Ungarn ein Bauprojekt. Durch die Revitalisierung der Pulkautaler Lehmhäuser hat sich die Zusammenarbeit zwischen Krinzinger und Pruscha intensiviert. Ein weiteres, ehemals verfallenes Gebäude wird seit seiner Sanierung von der bildenden Künstlerin Eva Schlegel als Rückzugsort und kreativer Regenerationsraum genutzt.
Laut Carl Pruscha sei es sinnvoll die bestehende Baumaterie nicht verkommen zu lassen, sondern sie den Bedürfnissen heutiger Nutzer*innen anzupassen. Die Änderungen betreffen in erster Linie Wasserversorgung und Sanitäranlagen, da man die Häuser ursprünglich nicht als Wohnraum, sondern für die Verarbeitung der Weinernte errichtete. Für die Adaption gibt es viele Möglichkeiten bestehende Gebäude interessant zu gestalten und so gut wie alles, ließe sich mit einfachen Mitteln umsetzten.
Im Krinzinger Lesehaus seien die Änderungen kaum sichtbar und der Innenraum blieb in seiner ursprünglichen Form erhalten. Platz für Küche und Bad schuf man durch eine externe Treppe. Dabei wurde das Gesamtensemble nicht gestört. Die Aussentreppe ist nun Bestandteil des kleinen Hauses. Im benachbarten Bau wurden die Leitungen unterirdisch verlegt.
Revitalisierung und die Auseinandersetzung mit heimischen Bauformen gehören zu Pruschas Schwerpunkten. Hochhäuser würde er nicht bauen, räumt jedoch ein, dass eine Verdichtung des Wohnraums für die zeitgenössische Städteplanung berücksichtigt werden muss. Besonders interessiert er sich für Slums als Architektur und Lebensraum. Pruscha ist davon fasziniert, wie sich die kleinen Hütten über Berge und weite Flächen ziehen. Sie schaffen ein geschlossenes städtisches Ambiente und ermöglichen dem einzelnen zugleich Individualität. Die Siedlungen können durch Schrägaufzüge erschlossen werden. Schon als Student hatte Pruscha vor mit dieser Technik zu arbeiten. Behausungen kann man so in die Luft verlegen, wie es im chilenischen Valparaíso geschehen ist. Dort gibt es mehr als 30 Schrägaufzüge aus den 1980er Jahren, die bis heute funktionstüchtig sind und Menschen auf verschiedene Wohnebenen transportieren.
Für einige seiner Projekte entwarf Pruscha mehrstöckige Gebäude, die so mit Rampen verbunden sind, dass auch Lasttiere wie Esel sich darauf bewegen können und Bewohner*innen nicht auf mechanische Geräte angewiesen sind. „Ich glaube eine der schlimmsten Erfindungen des Menschen war das Automobil“ so Pruscha - es habe die Städte zerstört und ruiniert. Im Anschluss an Formanek, die lange Zeit auf der arabischen Halbinsel tätig war, legt er ein Plädoyer für die islamische Stadt ein. Seine Idealstadt sei nicht Auto, sondern Esel gerecht. Diese Überzeugung gibt er auch an Studierende weiter.
Anlässlich der positiven Resonanz, welche Schlegels Presshaus und das Krinzinger Lesehaus als Raum für Kreativität, Muße und intellektuellen Austausch erzielten, wurde ein weiterer Lehmbau gekauft und unter Pruschas Leitung saniert. Die traditionell in der Region angesiedelten Gebäude, können so vor Abriss und Verfall gerettet werden. Die Revitalisierung heimischer Baumaterie bietet nicht nur neue Perspektiven für nachhaltige Architektur, sondern trägt auch zum kulturellen Leben in der Region bei.
CARL PRUSCHA wurde 1936 in Innsbruck geboren. 1955–59 studierte er an der Akademie der bildenden Künste in Wien (Mag. Architektur). 1960–62 absolvierte er Postgraduate Studies for Urban Design (MA) an der Graduate School of Design der Harvard Universität 1974-76 promovierte er an der TU Graz als Doktor der technischen Wissenschaften. 1964–74 war er Berater der nepalesischen Regierung im Auftrag der Vereinten Nationen und der UNESCO. 1976–88 arbeitete er als ordentlicher Professor für Planungsgrundlagen der Architektur an der Akademie der bildenden Künste in Wien. 1988–2001 war er Rektor der Akademie der bildenden Künste in Wien. 2002 war er Scholar am Getty Research Institut in Los Angeles. 2004 emeritierte er von der Akademie der bildenden Künste Wien. Pruscha gründete das Studio for Habitat, Environment and Conservation in Wien.
2019 erschien die Monographie Carl Pruscha: Ein ungewöhnlicher Architekt über sein Werk (Lars Müller Publishers GmbH).
VERENA FORMANEK studierte an der Universität für angewandte Kunst in Wien und absolvierte ihren Master mit Auszeichnung. In 1989 schloss sie sich dem MAK - Museum für Angewandte und zeitgenössische Kunst als Kuratorin für Ausstellung und Design an. Sie installierte die permanente Ausstellung im Kontext, die von internationalen Künstler*innen wie Barbara Bloom, Jenny Holzer, Donald Judd, and Heimo Zoberning gestaltet wurde. 1993 wurde sie unter Peter Noever zur stellvertretenden Leiterin ernannt. Anschließend wechselte sie an die Fondation Beierle in Basel, welche 1997 in einem neuen Gebäude von Renzo Piano eröffnet wurde. Dort war sie stellvertretende künstlerische Leiterin von 1996 bis 2004 und arbeitete eng mit Ernst Beyerle zusammen. Von 2006 bis 2009 war sie Leiterin der Sammlungen am Museum für Gestaltung in Zurich. Sie erhielt eine Reihe an Forschungs- und Lehraufträge in Basel, Zürich und Linz. Ausserdem publizierte sie weitreichend und kuratierte zahlreiche Ausstellungen. Sie arbeitete viele Jahre mit Helmut Lang und stellte das Archiv zusammen, welches sich heute im MAK befindet. 2010 schloss sie sich dem culture department des TDIC als Senior Project Manager für das Guggenheim Abu Dhabi an, welches von Frank Gehry entworfen wurde. In der gleichen Position ist sie für die Museumsabteilung des TCA tätig. Verena Formanek lebt und arbeitet in Wien und Zürich.